Hebamme und Heilpraktikerin: Ein Interview mit Viktoria Nickel.

Kirsten Ohlhagen: Liebe Viktoria, du bist Hebamme, aber du bist auch Heilpraktikerin, Homöopathin und Bachblütentherapeutin – bei dem Versuch, diese Begriffe exakt zu definieren komme ich ins Schlingern. Wie grenzen sie sich ab?

Viktoria Nickel: Die Homöopathie ist ein Bestandteil der Naturheilkunde. Dazu gehören zum Beispiel: die Pflanzenheilkunde – auch Phytotherapie genannt, die Homöopathie, die Bach-Blütentherapie – benannt nach dem englischen Arzt Edward Bach – und die Akupunktur. Aber auch ganz althergebrachte Anwendungen wie das Schröpfen, die Eigenblut-, Ozon- oder auch Ernährungstherapie. Kurz gesagt alles, was einfach nicht mit chemischen Medikamenten behandelt wird.

Ich habe mich dabei auf Anwendungen spezialisiert, die mir selbst gut gefallen und mit denen ich – in der „Zusammenarbeit” mit Schwangeren, Wöchnerinnen und Babys – gut arbeiten kann. Das sind die Homöopathie, die Bach-Blütentherapie und die Akupunktur. 

Kirsten Ohlhagen: Haben die Schwangeren, die zu dir kommen, spezielle Anliegen? Gibt es so „klassische” Beschwerden, die immer wieder vorkommen?

Viktoria Nickel: Dazu gehören bei mir in der Praxis vor allem Schwangerschaftsübelkeit und Schwangerschaftserbrechen. Etwas, das über die ganze Zeit oder auch „nur” 12 Wochen auftreten kann – wobei auch das natürlich sehr einschränkend in puncto Lebensqualität ist. 

Kirsten Ohlhagen: Wie behandelst du diese Symptome?

Viktoria Nickel: Dagegen kann man supergut etwas mit „Kügelchen” und/oder „Nädelchen” – also Akupunktur – machen. Je nachdem, wie offen ein Frau für das Nadeln ist – einige mögen die Vorstellung allein schon nicht. Beides funktioniert aber sehr gut hinsichtlich des Behandlungserfolges.

Kirsten Ohlhagen: Wo platzierst du die Nadeln? 

Viktoria Nickel: Bei Übelkeit in der Hand oder im Handgelenk – manchmal auch auf dem Kopf. Das hängt immer von eventuellen Begleiterscheinungen ab und muss individuell geklärt werden. Mit Begleiterscheinungen meine ich Erschöpfung, Nervosität, Angst oder auch die Unfähigkeit sich generell zu entspannen. Es kann aber auch genau umgekehrt sein – zum Beispiel, dass jemand überhaupt nicht „aus dem Quark” kommt: dann braucht man eine Nadel-Kombination, die die Energie erhöht. Wie gesagt: Ich muss mir jeden einzelnen Fall genau anschauen. Man kann nicht generell sagen: „Gegen Übelkeit hilft das und das Mittel oder die und die Nadel-Kombination.” Das funktioniert so nicht.

Kirsten Ohlhagen: Welche Beschwerden treten noch häufig auf?

Viktoria Nickel: Ganz klar Rückenprobleme – die sind ja eine der Volkskrankheiten schlechthin in Deutschland. Dabei kommt fast nur Akupunktur zum Einsatz – keine Homöopathie. Das hilft schnell und effektiv. Wobei man natürlich sagen muss, dass die Wirkung begrenzt ist – vor allem wenn es sich zum Beispiel um Statikprobleme handelt, wie sie in der Schwangerschaft häufig vorkommen. Hormonbedingt schlaffe Bänder werden auch durch Akupunktur nicht wieder straff – sollen/dürfen sie ja auch gar nicht. Was aber in diesem Zusammenhang gut funktioniert ist einfach die regelmäßige Linderung von Beschwerden. 

Kirsten Ohlhagen: Setzt du die Nadeln die Stelle, von der der Schmerz ausgeht?

Viktoria Nickel: Genau – dadurch setze ich immer wieder einen neuen Impuls, der lindernd wirkt. Dabei ist es wichtig zu wissen: Man kann nicht einmal zur Akupunktur kommen und dann sind alle Beschwerden beziehungsweise Rückenschmerzen verschwunden – so funktioniert es nicht; dann wäre es ja eine Art Wunderheilung. Auch nach mehreren Nadelungen werden die Beschwerden nicht völlig verschwunden sein. Sie werden aber in den allermeisten Fällen deutlich vermindert sein.

Ähnlich gute Behandlungserfolge lassen sich durch Akupunktur auch beim Karpaltunnelsyndrom erzielen. Das ist auch eine sehr häufige Begleiterscheinung bei Schwangerschaften. 

Und natürlich bei Schlafstörungen oder auch wenn man Probleme hat, abends „runterzukommen” und einzuschlafen! Wenn der Körper schon mal für das übt, was nach der Entbindung auf ihn zukommt …  

Kirsten Ohlhagen: Du sprachst eben im Zusammenhang mit Rückenproblemen von der Statik. Kannst du Frauen auch bei Symphysenschmerzen, die zum Beispiel ins Bein ausstrahlen, helfen?

Viktoria Nickel: Klares Jein! Ja – wenn die Beschwerden vom unteren Rücken ausgehen. Dann kann ich mit Akupunktur gut helfen. Nein – wenn es sich tatsächlich um eine ausschließliche Symphysenlockerung handelt – was ja häufig der Fall ist. Dann plädiere für einen Gurt, der alles einfach von außen festhält. Man darf nicht vergessen: Wenn sich Verbindungen hormonbedingt lockern, kann man das auch mit Akupunktur nicht wieder festmachen. 

Das ist mir auch ganz wichtig zu sagen: Ich bin überhaupt nicht so eingestellt, dass ich sage: „Ich kann alles und ich hab gegen alles irgendwas und Naturheilkunde ist grundsätzlich besser als Schulmedizin”. Davon bin ich meilenweit entfernt. Ich finde, man kann alles mit allem kombinieren und muss einfach gucken, was am besten wirkt. Denn das ist es, worum es mir letztendlich geht: Was tut genau dieser Frau in dieser Situation gut? Es geht ja nicht darum, welche Behandlungsmethode ich als Heilpraktikerin am besten finde. Ich persönlich finde immer das am besten, was der Frau am besten hilft.

Kirsten Ohlhagen: Kann man Akupunktur so zusammenfassen, das einerseits Schmerz ausgeschaltet wird und andererseits Muskeln angeregt werden?

Viktoria Nickel: Das ist eine eher „westliche” Denkweise. Die ursprüngliche fernöstliche Denkweise beruht auf Yin und Yang – den zwei Kräften, die zwar entgegengesetzt sind, sich aber dennoch aufeinander beziehen und sich ergänzen. Yin steht dabei unter anderem für ruhig und passiv, Yang für bewegt und aktiv. Wenn jemand jetzt Beschwerden hat, geht man davon aus, das Yin und Yang sich in einer Disbalance befinden. Und genau da kommt dann die Akupunktur ins Spiel, die ich einsetze, um wieder ein Gleichgewicht, eine Balance herzustellen. Also: wenn eine Frau zum Beispiel immer sehr angespannt ist und kontinuierlich „unter der Decke klebt”, kann man die Nadeln so setzen, dass sie sich entspannt; und wenn jemand immer zu „schlapp” ist, dann akupunktiere ich die energetisierenden Punkte, die an unterschiedlichen Stellen im Körper vorhanden sind.

Es gibt aber auch Indikationen – zum Beispiel bei Rückenbeschwerden in der Schwangerschaft – da ist es nicht ratsam, direkt in den Rücken beziehungsweise generell in den unteren Körperbereich beziehungsweise Lendenwirbelbereich zu akupunktieren, weil das Wehen auslösen kann.

Kirsten Ohlhagen: Und was machst du dann?

Viktoria Nickel: Ich akupunktiere Rückenschmerzen in der Schwangerschaft über die Ohren. Wenn man sich das menschliche Ohr anguckt, sieht es ja – von der grundsätzlichen Form her – im Grunde aus wie ein Kind, das „zusammengerollt” im Bauch liegt – das Ohrläppchen soll dabei das Köpfchen darstellen. Wenn man dann am Ohr weiter nach oben geht, kommt ein Bereich, der die gesamte Wirbelsäule mit all ihren Kurven repräsentiert. Wenn ich hier die Nadeln in die entsprechenden Bereiche setze, kann ich Rückenbeschwerden exakt dort lindern, wo sie auftreten. Ohne dass die Wehen ausgelöst werden oder dass die Frau sich zum Beispiel ausziehen muss.

Kirsten Ohlhagen: Apropos ausziehen – Hautprobleme sind ja auch so ein klassisches Schwangerschaftsthema. Wenn der Bauch größer und größer wird, fängt oft auch ein sehr starkes Jucken an. Wie gehst du da vor? Hast du da Tipps?

Viktoria Nickel: Das kommt darauf an. Wenn es sich bei dem Juckreiz um das PUPP-Syndrom handelt, kann man auf naturheilkundlicher Basis nicht weiterhelfen. Das muss von einem Arzt behandelt werden. PUPP steht für „Pruriginöse und Urtikarielle Papeln und Plaques” – eine Hauterkrankung, die meist in der zweiten Hälfte der Schwangerschaft auftritt und durch starken Juckreiz gekennzeichnet ist. 

Ansonsten gibt es da ein breites Spektrum: Das fängt mit handelsüblichen Urea-Hautcremes an. Weiterhin empfehle ich Abreibungen mit schwarzem oder grünem Tee – einfach ein bisschen Watte in den Tee tunken und damit den Bauch abreiben – oder auch das Auflegen eines mit Buttermilch getränkten Handtuches auf den Bauch. Und wer gerne in die Badewanne geht, der sollte ein Bad mit Totem-Meer-Salz ausprobieren. 

Aber auch die Darmflora kann Auswirkungen auf die Haut haben. Hier können manchmal Supplemente helfen, die man zum Beispiel einfach in Pulverform zu sich nehmen kann. 

Kirsten Ohlhagen: Auch ein „Klassiker” unter den Schwangerschaftsbeschwerden ist die verstopfte und/oder ständig laufende Nase. Worauf greift die Naturheilkunde dabei zurück?

Viktoria Nickel: Das kann man total gut akupunktieren oder auch selbst akupressieren. Das zeige ich den Frauen immer und dann können sie es zu Hause selbst anwenden. Und wenn man nachts überhaupt keine Luft bekommt, kann man – im Ausnahmefall – auch schon mal zum Nasenspray greifen – aber nur zu einem in „Kinderdosierung”. Man muss wissen: Nasenspray hat die Folge, dass sich die Blutgefäße zusammenziehen und man dadurch mehr Luft bekommt. Leider ziehen sich aber auch die Gefäße in der Gebärmutter zusammen – was natürlich grundsätzlich nicht gut für das Baby ist. Ansonsten empfehle ich immer auch mal eine Meersalz-Nasendusche zu probieren.

Kirsten Ohlhagen: Kannst du auch bei Wasser-Einlagerungen akupunktieren?

Viktoria Nickel: Ja, da gibt es ein paar Punkte an den Unterschenkeln und an den Füßen. Ich bin allerdings auch ein großer Fan von Stützstrümpfen, die das Thema einfach von außen mechanisch angehen. Und auch bei geschwollenen Fingern – die oft mit einem Karpaltunnelsyndrom einhergehen – hilft Akupunktur sehr gut.

Ansonsten gilt: bewegen, bewegen, bewegen – zum Beispiel in Form von Spaziergängen – und zwischendurch mal die Beine hochlegen, genug Wasser trinken sowie eiweißreich und salzig essen: gerne mal ein ordentlich gesalzenes Rührei zum Frühstück.

Kirsten Ohlhagen: Inwieweit wird Naturheilkunde in puncto Geburtsvorbereitung und Übertragung eingesetzt? Kannst du den Geburtsverlauf hinsichtlich der Zeit positiv beeinflussen oder ihn „anstupsen”?

Viktoria Nickel: Ich biete eine geburtsvorbereitende Akupunktur an. Dabei kommt es ausschließlich darauf an, dass der Muttermund weicher und reifer wird und sich infolgedessen schneller öffnet. Man kann davon ausgehen, dass sich bei einer akupunktierten Frau der Muttermund etwa doppelt so schnell öffnet wie bei einer nicht-akupunktierten Frau. Anders gerechnet bedeutet das eine 50-prozentige „Energieeinsparung” – das ist beträchtlich und trägt sehr zum Wohlbefinden der Frau bei.

Grundsätzlich gilt für mich: Die Natur weiß selbst sehr gut, wie alles geht. Wir sind es nur heutzutage gewöhnt, dass wir wirklich am liebsten alles organisieren, regeln und terminieren wollen. Alles muss perfekt sein – das gilt dann auch für den „Stichtag”. Und wenn der dann einfach so „sang- und klanglos” verstreicht, verfallen die meisten sofort in Aktionismus. Dabei muss man bedenken: es handelt sich immer „nur” um ein „angenommenes” Datum. In England spricht man daher zum Beispiel vom „Guess Date” und nicht mehr vom „Due Date”. Also vom „erratenen/geschätzten” Datum und nicht mehr vom „fälligen” Datum.

Kirsten Ohlhagen: Aus dem Bereich des Hypnobirthing kenne ich den Begriff „Geburtszeitraum“ – also eine Zeitspanne, aber nicht einen einen Zeitpunkt.

Viktoria Nickel: Ja, man kann immer locker von plus/minus zwei Wochen ausgehen. Deshalb ist es auch mein vorrangiges Anliegen, die Frauen zu beruhigen – damit sie sich ein bisschen besser entspannen können. Ich weiß sehr wohl, dass das leichter gesagt als getan ist – ich habe meinen Sohn 14 Tage übertragen. Man wird automatisch unfassbar ungeduldig.

Selbstverständlich muss man auch während dieser Zeit immer beobachten, wie es Mutter und Kind dabei geht, bevor man irgendeine Maßnahme – zum Beispiel die Verabreichung eines „Wehencocktails” – ergreift. 

Kirsten Ohlhagen: Ich dachte, der wird seit gefühlten 300 Jahren nicht mehr eingesetzt!?

Viktoria Nickel: Nein, dieses altbewährte Hausmittel auf der Basis von Rizinusöl ist ein durchaus bekanntes, aktuelles Hausmittel. Dabei ist zu beachten: auch wenn es „Hausmittel” heißt – ohne eine Begleitung durch einen Arzt oder eine Hebamme – die zum Beispiel ein CTG schreiben, um zu gucken wie es dem Baby geht – sollte dieser Trunk nicht eingenommen werden.

Kirsten Ohlhagen: Was hältst du von Himbeerblätter-Tee?

Viktoria Nickel: Auch den halte ich für geeignet, damit der Muttermund weicher und nachgiebiger wird und der Damm nicht so schnell reißt.

Was man aber auf jeden Fall machen kann, ist: ordentlich spazieren gehen, eine heiße Badewanne nehmen, etwas Scharfes essen, eine Fußreflexzonen-Massage oder Sex haben. Und das am besten alles nacheinander.

Kirsten Ohlhagen: Damit hätten wir ein abendfüllendes Programm entwickelt! Welche Bereiche des Fußes müssen dafür massiert werden?

Viktoria Nickel: Alle die Bereiche, die man sonst in der Schwangerschaft nicht massieren darf, da sie Wehen auslösen können: um den Innenknöchel herum und an der Außenkante des kleinen Zehs.

Kirsten Ohlhagen: Thema Geburtsverletzungen – zum Beispiel Kaiserschnittnarbe: Kannst du da helfen? 

Viktoria Nickel: Gegenwärtig ist die Narbe ja „immer” mit einem Aufkleber versorgt, von dem im Krankenhaus gesagt wird, dass er sich nach zwei bis drei Wochen von selbst ablöst. Das ist dann der Zeitpunkt, zu dem auch ich dann die Narbe erstmalig sehe. Dann kommen meist leichte streichelnde Massagen mit Mandelöl, einer Wundheilsalbe oder auch Olivenöl zum Einsatz – das, was sich für die Frau am besten anfühlt. Sollte sich ein Keloid – eine über das Hautniveau wuchernde Narbe – bilden, dann empfehle ich eine Silikon-Massagecreme aus der Apotheke.

Infolge eines Dammschnittes beziehungsweise Dammrisses helfen eine Reihe von Maßnahmen, um die Beschwerden zu lindern: 
• Generell nicht so viel stehen und gehen – damit der Damm entlastet wird.
• So früh wie möglich versuchen, wieder ein Gefühl für den Beckenboden zu bekommen. Heißt: anspannen und entspannen – einfach mal probieren, inwieweit das schon wieder geht.

Und um speziell das Abschwellen zu begünstigen, rate ich – je nach Vorliebe und Grad der Beschwerden – entweder zur Einnahme von Ibuprofen beziehungsweise von Arnikakügelchen, einer Arnikatinktur oder zum Auflegen einer Quarkwickel. Damit erreicht man in der Mehrheit der Fälle ein zufriedenstellendes Abheilen innerhalb von zwei bis drei Wochen.

Das Hauptaugenmerk sollte dann weiterführend auf dem Beckenbodentraining liegen – gerade auch nach einem Kaiserschnitt! Das muss an dieser Stelle mal ganz klar gesagt werden. Viele denken nämlich, dass sie das nach einem Kaiserschnitt nicht brauchen.

Kirsten Ohlhagen: Der Beckenboden hat ja dennoch 9 Monate etwas getragen …

Viktoria Nickel: … und nicht gerade wenig! Schließlich resultieren 80 Prozent der Belastung aus der Zeit der Schwangerschaft und „nur“ 20 Prozent aus der Geburtsphase selbst. Das ist total wichtig, dass die Frauen da was machen. Die zehn Stunden Rückbildungskurs reichen da allein nicht aus. 

Kirsten Ohlhagen: Es ist ja auch nur eins von gefühlt 1000 Themen im Rückbildungskurs – eher ein Randthema. Es gibt ja auch noch Stillen und Milchstau und …

Viktoria Nickel: … Rektusdiastase und Rücken und ein bisschen fit werden und …. Die Liste ist lang! Man darf dabei aber nicht vergessen: Der Bedarf für ein Beckenbodentraining wächst ja auch mit jeder Schwangerschaft. Spätestens nach dem zweiten oder dritten Kind muss man da etwas machen: Sonst kann man sich parallel zur Geburt auch noch gleich ein Binden-Abo wünschen. Das kann es nicht sein!

Kirsten Ohlhagen: Ich finde auch, dass dieses Thema in der Gesellschaft mal wieder erstklassig tabuisiert wird. Der Kauf und Gebrauch von Inkontinenzprodukten wird dagegen als totale Normalität dargestellt. Da wird dann von „Uups-Momenten” gesprochen und das Ganze wird banalisiert wie eine Laufmasche oder ein abgeblätterter Nagellack. Das ist so nicht hinzunehmen. Die Lösung liegt ja nicht im Kaschieren von Symptomen, sondern im Beheben von Ursachen. Und da kann ein Beckenbodentraining sehr viel leisten. In puncto Gesundheit übrigens ebenso wie in puncto Geldsparen und Umweltfreundlichkeit.

Viktoria Nickel: Das muss man den Frauen – zumindest in Deutschland – ganz klar sagen. Aber da redet ja hier kein Mensch drüber. Anders als zum Beispiel in Frankreich, wo meine Mutter lebt. Da bekommst du auch mit 75 Jahren ganz selbstverständlich eine Krankengymnastin, die mit dir zu Hause Beckenbodentraining macht.

Hier kriegst du dann zu hören: Sie haben eine Gebärmuttersenkung – das muss operiert werden. Meine Mutter hat angefangen zu trainieren und das Thema „schwacher Beckenboden” war für sie kein Thema mehr.

Kirsten Ohlhagen: Das finde ich so cool – weil wir hier immer denken, dass in puncto Gesundheit keiner so gut versorgt wird wie wir.

Viktoria Nickel: Es ist schon ganz schön gut, aber manche Sachen könnten echt besser laufen – vor allem, wenn wir mehr und ehrlicher reden würden. Wir tun ja alle immer so, als wäre bei uns mit der Geburt des Kindes die rosarote Sonne aufgegangen und die Partnerschaft besser als je zuvor – noch nie waren wir glücklicher! Und jeder, der das anders sieht, wird ein bisschen komisch angeguckt. Und natürlich sagt auch keiner: „Ich habe keine Lust mehr auf Sex und übrigens da, wo normalerweise mein Mann lag, liegt  jetzt mein Kind.” Und die Männer sagen ja auch nicht: „Wenn ich von der Arbeit komme, dann sitzt sie da mit ihren fettigen Haaren und schläft bei jedem Film ein und das nervt mich total”. Über sowas wird ja überhaupt nicht gesprochen und halt auch über „in die Hose machen” überhaupt nicht. 

Kirsten Ohlhagen: In gewisser Weise sind diese Zoom-Kurse sogar ganz gut, weil der Vergleich der Frauen untereinander ein bisschen mehr wegfällt.

Viktoria Nickel: Das läuft in meinen Kursen ja gar nicht – da bin ich superempfindlich. Sobald ich das merke, sage ich das auch: „Das findet in meinen Kursen nicht statt. Wer hier stutenbissig wird und irgendeinen „Mum-Contest” starten will, der ist hier nicht willkommen.”

Kirsten Ohlhagen: Die kommen teilweise im Partnerlook mit ihren Töchtern gestylt zum Kurs – ein ganz schöner Druck, der da entsteht.

Viktoria Nickel: Total! Wir Frauen können das aber auch ändern. Wir müssten dazu aber selbst erst mal ehrlich sein und uns auch trauen, zu sagen, dass im Zweifelsfalle nicht alles toll ist und das der „After Baby Body” einfach gerade nicht das Wichtigste ist im Leben einer jungen Mutter.

Kirsten Ohlhagen: Nächstes Thema: Was unternimmst du bei wunden Brustwarzen?

Viktoria Nickel: Einreiben mit Wollfett hilft, Schwarzteekompressen auflegen tut gut, silberne Teelöffel aufzulegen oder Silberhütchen in den BH zu stecken tut gut, Multi-Mam-Kompressen mit Aloe Vera tun gut … Und wenn es ganz stark wehtut oder sogar blutet, empfehle ich, 24 Stunden mal nur abzupumpen. Dann kann sich die Brustwarze erholen, da sie durch das Abpumpen nicht so strapaziert wird.

Grundsätzlich gilt für das Thema: Wunde Brustwarzen sind einfach Pech, darauf kann man sich nicht vorbereiten – auch wenn es bereits Still-Vorbereitungskurse gibt, die das anbieten. Das ist unseriös. Die gute Nachricht: Wunde Brustwarzen sind nie für immer! Die bleiben nur manchmal sehr hartnäckig, wenn man den Frauen sagt, dass sie da jetzt „durchmüssen” und sie so weitermachen sollen wie bisher. „Da musst du jetzt durch” halte ich sowieso für den bescheuertsten Spruch in diesem ganzen Bereich. Jede Frau hat jede Erleichterung, die sich ihr bietet, wenn es ihr nicht gutgeht, mehr als verdient.

Kirsten Ohlhagen: Machst du im Wochenbett irgendetwas anders mit den Frauen als eine „normale” Hebamme ohne naturheilkundliches Wissen?

Viktoria Nickel: Wahrscheinlich eher nicht – ich mache meine Hausbesuche so gleich und so unterschiedlich wie alle anderen auch. Wenn es dann mal einen konkreten Behandlungsgrund gibt, dann mach ich vielleicht auch noch mal was mit „Kügelchen oder Sälbchen”.

Kirsten Ohlhagen: Hast du in deiner Hebammentasche so eine kleine Notfall-Hausapotheke mit homöopathischen Mitteln?

Viktoria Nickel: Im Normalfall sage ich den Frauen, was sie sich besorgen sollen. Persönlich bin ich jetzt auch nicht die, die ankommt und erstmal einen Riesenkasten auspackt und dann die ganze Klaviatur der Naturheilkunde durchspielt. Natürlich setze ich sie gezielt ein, wenn es nötig ist; aber ich muss sagen, dass es für die allermeisten Frauen – und Babys – einfach auch echt gut läuft.

Und wenn es den Babys nicht gut geht – wenn sie zum Beispiel viel schreien – dann schicke ich Mutter und Kind gerne zur Osteopathie. Wenn sie irgendwo „schief sind” und sich in ihrem Körper nicht wohlfühlen – da komme ich mit Kügelchen nicht gegen an. Das kann der Osteopath „naturgegeben” besser.

Ähnlich verfahre ich, wenn ich merke, dass die Frauen psychisch „geknickt” sind. Da muss ich recht schnell reagieren und Ihnen empfehlen, sich besser an einen Psychiater zu wenden. Wenn das nicht erkannt und behandelt wird, rutscht man sonst in eine fette Depression hinein, die gerne auch mal ein paar Monate dauern kann. Mit Kräutertee, Johanniskraut und einem Spaziergang an der Sonne kommt man da nicht weiter. Das beginnt mit einem leichten Baby Blues und endet dann in so Sätzen wie: „Ganz ehrlich Viktoria – seit zwei Wochen stehe ich morgens nur auf, weil ich weiß, dass du kommst.” Da läuft dann mächtig was schief und das kann nur schulmedizinisch behoben werden.

Kirsten Ohlhagen: Durch eine Beratung, durch jemanden, der sich das anhört und die richtigen Fragen stellt und mal guckt, wo da jetzt der Hase im Pfeffer liegt …

 Viktoria Nickel: Genau – und wenn das „nur” ein verlängerter Baby Blues ist, und man deutlich erkennt, dass es überhaupt nicht auf Depressions- oder Psychosen-Niveau liegt, es aber trotzdem unschön und unangenehm für die Frau ist – da kann man natürlich schon auch mit pflanzlichen Hilfsmitteln stimmungsaufhellend arbeiten.

Kirsten Ohlhagen: Es ist doch auch der Ansatz der Naturheilkunde, nicht nur an einer bestimmten Stelle zu behandeln, sondern den Menschen ganzheitlich zu betrachten. Also den ganzen Organismus, den ganzen Körper und auch die Seele, die Verfassung, die Laune und das Körpergefühl miteinzubeziehen, oder?

Viktoria Nickel: Auf jeden Fall! Dabei muss man darauf achten, was denn noch „on top” geht. Ich finde: Eine Frau, die gerade ein Baby auf die Welt gebracht hat, muss nicht auch noch in die Tiefe ihrer Seele hinabsteigen und erörtern, was denn „in ihrer Kindheit” war und was das für ihr heutiges Leben bedeutet. Das ist überhaupt nicht die Zeit für sowas. Ebenso wenig ist es ein geeigneter Zeitpunkt für eine Psychotherapie. Es sollte meiner Meinung nach darum gehen, wie man da möglichst effizient erstmal wieder rauskommt. Wenn man das dann geschafft hat, wieder zu Kräften gekommen ist und neue Zuversicht erlangt hat, dann kann man sich dem Thema erneut widmen. Aber im Wochenbett anzufangen, sich tiefgründig mit existentiellen Themen zu beschäftigen ist defintiv der falsche Zeitpunkt.

Kirsten Ohlhagen: Ich finde, im Wochenbett ist die Stimmungslage meist noch ganz okay. Ich habe eher das Gefühl, dass das so ein bisschen danach kommt.

Viktoria Nickel: Mal so, mal so. Worauf es dann ankommt ist, dass man den Frauen wirklich ganz deutlich klarmacht: dein Baby ist nicht zu ändern, der Schlafrhythmus deines Babys ist nicht zu ändern, dass es nachts viel wach ist, ist nicht zu ändern und dass deine Brustwarzen weh tun ist – zumindest von „jetzt auf gleich” – auch nicht zu ändern. Und deine Partnerchaft ist gerade vielleicht auch nicht gerade auf „Wolke 7“, aber mit Reden und Rücksichtnahme wird das schon wieder, sei sicher.

Was man aber sehr wohl und sehr konkret ändern kann – und was unfassbar viel Einfluss auf deine Lebensqualität und deine Stimmung hat – ist dein Schlafrhythmus! Den musst du dahingehend verändern, dass du dann schläfst, wenn auch dein Baby schläft! Egal, wann das ist! Und wenn dein Baby von 12 bis 17:00 Uhr schläft oder generell eine ruhige Zeit hat, dann ist das auch deine Schlafzeit. Die Frauen oder die Paare, die emsig auf das Ziel hinarbeiten, dass ihr Baby von sieben Uhr abends bis sieben Uhr morgens schläft, die verbeißen sich da in etwas, dass sie nur über die Maße stresst.

Kirsten Ohlhagen: Die Vorstellung vom gemeinsamen, gemütlichen Feierabend …

Viktoria Nickel: Aber so funktioniert es eben nicht. Die Frauen sind total erschöpft, weil sie die ganze Nacht mit ihrem Baby beschäftigt waren und tagsüber auch noch denken, jetzt muss unbedingt noch die Bude aufgeräumt werden und dann muss ich mich auch mal schminken und oh Gott, oh Gott, oh Gott – wann und wie soll ich das alles schaffen? 

Ganz klar: Schlafmangel ist die reinste Folter! Und genügend Schlaf zu bekommen hat absolute Priorität im Alltag einer jungen Mutter. Das ist auch keine speziell naturheilkundliche Sichtweise, sondern einfach eine Tatsache. Das muss man allen wirklich „einhämmern”: Nutze jede Gelegenheit, um zu schlafen!

Kirsten Ohlhagen: Ich finde, dass „Erwartungshaltungen” ein wichtiges Thema sind. Je höher sie sind, umso mehr kann ich doch davon ausgehen, dass mir mein Baby mit Sicherheit einen Strich durch die Rechnung machen wird, oder? Das erlebe ich oft bei Frauen, die alles intellektuell regeln wollen, dass die dann völlig ratlos oder verzweifelt sind, wenn es nicht so läuft wie sie es sich vorgestellt haben.

Viktoria Nickel: Ja, das ist tatsächlich so. Je mehr die Frauen theoretisieren und noch ein Buch kaufen und noch einen Ratgeber lesen und noch einen Kurs buchen und sich noch ein Konzept ausdenken, umso schwieriger wird ihr Alltag – sowohl mit ihrem Baby als auch mit ihrem Partner. Hier gilt es, ein gesundes Bauchgefühl zu entwickeln und auf die innere Stimme zu hören. 

Kirsten Ohlhagen: Du bietest auch Homöopathie-Kurse zur Behandlung von Kindern an. Worum geht es da?

Viktoria Nickel: In diesen Kursen geht es um die „kleinen Sachen”, die man zu Hause behandeln kann: Dazu gehören zum Beispiel Massagen um Blähungen zu lindern, Arnica-Anwendungen bei kleinen Beulen, das Auftragen von Calendula bei kleinen Abschürfungen oder Schrammen und natürlich die Linderung von Schmerzen beim Zahnen.

Kirsten Ohlhagen: Vielen Dank für das Gespräch!